Im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Geiss

Wie begegneten Lehrkräfte den neuen Technologien für den Unterricht im 20. Jahrhundert in der Schweiz? Welche Ängste und Hoffnungen wurden in pädagogischen Kreisen geäussert? Diesen und anderen Fragen geht Prof. Dr. Michael Geiss derzeit in seinem Pilotforschungsprojekt «Technologien im Klassenzimmer: Ein exploratives Projekt zur Rolle von Lehrpersonen bei der Einführung neuer Unterrichtsmittel» nach. Im Interview berichtet er über erste Zwischenergebnisse und Erkenntnisse.

Wie würden Sie den bisherigen Verlauf Ihres Projekts bewerten?

Seit Projektbeginn Anfang September 2021 ist die Arbeit an der Pilotstudie weitgehend wie geplant verlaufen. Wir haben viel Quellenmaterial gesichtet, darunter verschiedene pädagogische Periodika sowie Bestände des alten Pestalozzianums, welches in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Einführung neuer Lernmedien koordinierte und gestaltete. Dabei traten Lehrpersonen in unterschiedlichen Kontexten und innerhalb verschiedener Akteurskonstellationen auf. Mithilfe der bisherigen Recherche wurde eine grosse Bandweite an Aktivitäten von Schweizer Lehrkräften, sei es in Verbandskontexten oder individuell, in Bezug auf den Umgang mit audiovisuellen Medien sowie Computern und Informatik im Unterricht seit Mitte des 20. Jahrhunderts erkennbar.

Gibt es Akteur:innen, die bei Ihren Recherchen besonders aufgefallen sind?

Ein Akteur war bezüglich der Förderung von neuen Unterrichtstechnologien besonders relevant: der Schweizerische Lehrerverein (SLV, heute LCH). Er führte seit 1950 eine sogenannte «Apparatekommission» (APKO), die später unter «Studiengruppe Naturwissenschaftlicher Unterricht» (NU LCH) bekannt wurde. Sie prüfte und begutachtete unter anderem «moderne» Unterrichtshilfen wie Videogeräte, erstellte Listen mit für den Unterricht tauglichen Apparaten und Hilfsmitteln und widmete sich im Verlaufe der Zeit vermehrt der Medienarbeit. Des Weiteren unterhielt der SLV eine «Studiengruppe für das Lichtbild» sowie eine «Studiengruppe Transparentfolien».

Können Sie uns einen Einblick in die Zwischenergebnisse geben und was sie für das Bildungswesen bedeuten?

Das Material zeigt, auf welch unterschiedliche Weise Lehrpersonen bei der Einführung neuer Unterrichtstechnologien beteiligt waren. Für die pädagogische Praxis sind die Befunde interessant, da sie nachweisen, dass Lehrpersonen keine homogene Gruppe sind, sondern sich in viele Teilfraktionen mit zum Teil divergierenden Interessen aufteilen. Das gilt es auch bei der der aktuellen Diskussion um die digitale Transformation in der Gegenwart zu berücksichtigen.

Gibt es weitere Erkenntnisse oder Gedanken, die Sie gerne teilen möchten?

Die Bestände der Forschungsbibliothek Pestalozzianum sind eine grossartige Ausgangsbasis für bildungshistorische Untersuchungen zu neuen Unterrichtsmedien und Bildungstechnologien. Es wäre sehr zu wünschen, wenn in Zukunft noch mehr historische Aktenbestände von pädagogischen Fachverbänden Eingang in das Archiv finden würden. Um die Rolle von Lehrpersonen bei der Einführung neuer Unterrichtsmittel zu verstehen, ist es unabdingbar, ihre Stimmen hörbar zu machen. Und das geht nur, wenn hinreichend aussagekräftiges Material vorhanden ist.

Um das Bildungsverständnis und das pädagogische Wissen in der Öffentlichkeit zu erweitern und zu vertiefen, unterstützen und lancieren wir innovative Projekte. 

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