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Von Cholera zu Corona: Gelehrtenreisen zu Zeiten der Pandemie

So aussergewöhnlich unsere Situation heute auch ist – Pandemien gab es in der Geschichte immer wieder. Und sie sind in den Sammlungen Pestalozzianum in verschiedenen Schriftstücken dokumentiert. So berichtet ein gewisser Peter Friedrich Theodor Kawerau (1789 – 1844) in Briefen über das Reisen zu Zeiten der Cholera. Kawerau, ein deutscher Pädagoge, unternahm 1831 mit seiner Familie eine Reise von Preussen nach Schaffhausen, woher seine Frau stammte. In verschiedenen Briefen ist von der Beschwerlichkeit dieser langen, aussergewöhnlichen Reise zu lesen; sie ging zu Fuss, mit der Kutsche und mit dem Floss vonstatten. In einem Brief begründet Kawerau zudem auch, wieso er nicht etwa über Prag in die Schweiz reise. Er befürchtet, auf diesem Reiseweg von einer sogenannten «Kontumaz» eingeholt zu werden: Es handelt sich um ein inzwischen veraltetes Synonym für Quarantäne. Eine solche vermutete er nämlich an der Grenze zwischen Böhmen (heutiges Tschechien) und Bayern (Teil des ehemaligen Ostfrankenreichs). Die «Kontumaz» drohte zu jener Zeit, da sich gerade die Cholera ausbreitete – eine Durchfallerkrankung, bei der viele Erkrankte durch den hohen Flüssigkeitsverlust an Austrocknung starben. Allein in Deutschland fielen damals rund eine halbe Million Menschen der Cholera zum Opfer.

Einblick in die Gedankenwelt der Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts

Kawerau erzählt vom Reisen in Briefen an seinen Kollegen Johann Wilhelm Mathias Henning (1783-1868). Reisen zu können, war zur damaligen Zeit ein Privileg – es war kostspielig und langwierig. Man reiste vor allem aus beruflichen und pädagogischen Gründen; so auch Kawerau und Henning. Beide traten fast zeitgleich eine Reise nach Yverdon an, um sich dort an Johann Heinrich Pestalozzis Erziehungsinstitut weiterzubilden. Die beiden Pädagogen wollten Pestalozzis Erziehungsmethode studieren. Sie waren nicht die einzigen. Im damals bestehenden pädagogischen Gelehrtennetzwerk – zu dem auch Kawerau und Henning gehörten – war es üblich, eine Bildungsreise anzutreten, um verschiedene Arten der Erziehung und Bildung kennenzulernen. Darüber hinaus blieb man über Briefkorrespondenzen in regem Austausch und debattierte über zentrale Themen der Aufklärung – etwa den Zusammenhang von Schulbildung und gesellschaftlicher Verbesserung.

Viele verschiedene Briefe, die sich in den Sammlungen Pestalozzianum befinden, geben uns Einblick in die Gedankenwelt der Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts – in Positionierungen, Argumentationen und Konfliktlinien. Und sie lassen uns durch die Reiseberichte Anteil an ihrem Leben haben. Für das vorindustrielle Europa zeugen die Berichte von einer erstaunlichen Mobilität.

Weitere über 60’000 Zeichnungen werden bis Ende 2021 im Teilprojekt Kinder- und Jugendzeichnungen erschlossen und für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

November 2020

Autor:innen
Anne Bosche, Peter Stücheli-Herlach

Preview
«Panorama Pestalozzianum»

ab Oktober 2023

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