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Übermaltes Heidiland

Alpen und Bergwelt in Bedrohung – so betitelte der Schweizer Künstler Carlo Aloë sein Bild, das er im Jahr 1994 im Auftrag des Schweizerischen Lehrervereins und der Bundesbehörden malte. Auf den ersten Blick wirft das Bild mehr Fragen auf, als dass es Antworten für den Schulunterricht geliefert hätte: Ein Netz aus grellen Farben und graffiti-ähnlichen Motiven verstellt den Blick auf dahinter liegende Sujets, die wohl bekannt sind: Das Matterhorn am rechten Bildrand, ein Chalet unten rechts, mehrere Figuren auf Sesselbahnen, im Zentrum dann die Talstation einer Bergbahn. Im Vordergrund werden Autokolonnen sichtbar und überlagern andere Motive, oben links schwebt ein Helikopter ins Bild hinein, und ein Skirennfahrer springt dem Betrachter quasi ins Gesicht.

Skitourismus als Bedrohung 

Es geht also nicht um Heidiland, sondern um die Walliser Alpen, und diese sind als eine konsequent erschlossene und bewirtschaftete Region dargestellt. Unser «Heidiland» wird durch die Wirtschaft, insbesondere den Skitourismus bedroht – so lautete tatsächlich Aloës Botschaft. Das Bild der heimischen Landschaft und Natur pädagogisch in dieser kritischen Art zu inszenieren, ist für ein im Auftrag erstelltes Schulwandbild auch noch für die damalige Zeit ungewöhnlich. Aloës Bild ist Teil des 252 Bilder umfassenden, so genannten «Schweizerischen Schulwandbilderwerks», das im Jahr 1936 vom Schweizerischen Lehrerverein und vom eidgenössischen Departement des Inneren initiiert worden war. Jährlich erschienen bis Mitte der Neunziger Jahre rund vier Bilder, in denen die Künstler verschiedene Themen nach Vorgaben des Schweizerischen Lehrervereins und der eidgenössischen Kunstkommission umsetzten. Darunter waren idyllische Landschaften wie Arvenwälder und typische Tätigkeiten wie eine Traubenernte. Aloës Bild zeugt also von einer neuen pädagogischen Sensibilität für Umweltthemen. Heute ist die Bedrohung unserer Natur, 25 Jahre nach Erscheinen dieses Schulwandbilds, nicht nur aktueller, sondern auch im Schulunterricht präsenter als je zuvor.

Ausdruck von Komplexität und Abstraktheit

Der 1939 in Neuenburg geborene, aus Italien stammende Künstler Carlo Aloë ist bekannt für seine komplexen Bilder und für seine abstrakte Bildsprache, die sich oft der Überlagerung verschiedener Motive bedient. Seit 1967 kreierte er als Freischaffender Bilder, die häufig den Einfluss von Industrie und Zivilisation auf unser Leben thematisieren: Die Hektik und Rastlosigkeit in Städten oder Landschaften sind Hauptthemen seiner Malerei.

Weitere Informationen über die Schulwandbilder

Schulwandbilder gehörten insbesondere im deutschen Sprachraum seit dem 19. Jahrhundert und bis in die 1990er Jahre hinein zum Standardinventar von Schulzimmern in der Volksschule. Sie sollten im Unterricht nicht nur etwas veranschaulichen, sondern gleichzeitig auch zur ästhetischen Geschmacksbildung beitragen. Sie waren zumeist das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Verlagen, Pädagogen und Künstlern. Das «Schweizerische Schulwandbilderwerk» war in den Dreissiger Jahren auch in Abgrenzung zum nahen nationalsozialistischen Ausland entstanden. Schweizer Schulwandbilder sollten ein Mittel zur Pflege nationaler Gesinnung sein – ein Mittel zur so genannten «geistigen Landesverteidigung», mit der explizit schweizerische Werte und schweizerische Kultur vermittelt werden sollten.

Das komplette Schweizerische Schulwandbilderwerk sowie etwa 2500 weitere Schulwandbilder aus in dem In- und Ausland wurden im Projekt «Sammlungen Pestalozzianum: Erschliessung, Erhaltung und Nutzung des Sammlungsgutes» mit Unterstützung des Lotteriefonds des Kantons Zürich digitalisiert, erschlossen und auf dem Portal «Sammlungen Pestalozzianum» zugänglich gemacht.

Oktober 2019

Autor:innen
Anne Bosche, Peter Stücheli-Herlach, Sibylle Walther-Jenk